Buchtipps

Buchempfehlungen von Rainer Schmidt (in alphabetischer Reihenfolge der Buchtitel)

Hinterher

von Finn Job, Wagenbach

Aus seinem eindrucksvollen Debüt „Hinterher“ las Finn Job (im Bild rechts, mit Timo Lindeman vorm Borchardt vor den Lesungen) beim…

Aus seinem eindrucksvollen Debüt „Hinterher“ las Finn Job (im Bild rechts, mit Timo Lindeman vorm Borchardt vor den Lesungen) beim Writers´ Thursday, der leidenschaftliche Proust-Fan, der lieber schreibt und kellnert statt zu studieren. Der Erzähler hält es in Berlin nicht mehr aus, er ist genervt von der Ehrgeizlosigkeit seiner Umgebung und der Gewalt gegen Schwule und Juden, die er selbst erfahren hat. Sein Freund Chaim ist auch deswegen zurück nach Tel Aviv gezogen, der Trennungsschmerz zerrt heftig an ihm. Er fühlt Überdruss, gepaart mit Wut und manchmal Hass gegen sich und seine Umwelt, die Speed- und Koks-Lines machen es nicht besser. Er schmeißt seinen Job in einer Techno-Bar und lässt sich von seinem Künstler-Freund Francesco überreden, nach Nordfrankreich zu fahren. Ziel ist eine alte Villa, die ein gewisser Gédéon – leicht exzentrisch und drogenabhängig – zum Hotel umbauen will. Francesco selbst will eine alte Kirche zum innen verspiegelten Kunstwerk machen. Es beginnt eine Art Roadmovie durch zerklüftete Seelen- und Trauerlandschaften gen Normandie mit großen Drogenmengen im Gepäck, wobei es niemals ums Feiern geht, sondern immer nur um die Distanzierung zur Echtwelt, um Flucht. Der Erzähler fühlt sich verlassen und verraten, sein Sehnsuchtsmensch Chaim ist weg, seine woken Freunde in Berlin haben sich von ihm abgewandt, weil er sich einmal wütend über homophobe muslimische Jugendliche geäußert hatte, die ihn und Chaim wegen eines Kusses auf der Straße in Neukölln verfolgt hatten und denen er nur knapp entkommen war. Es geht um ein Gefühl der Verlorenheit und die Frage nach den Ursachen dieser grundlegenden Melancholie. Welchen Anteil hat die Vergangenheit des Landes? An einer Stelle heißt es: „Chaim hatte immer gesagt, das Leben nach der Shoah fühle sich an, als sei es eine einzige Farce, ein einziges Danach, ein Hinterher.“ Blitzschnell und extrem stilsicher wechselt Finn Job zwischen Proustverehrung und Trash, zwischen Drogenexzess und Kunst- und Kulturverweisen.

Hope Street

von Campino, Piper

Erfahrener Musiker, aber Buch-Debütant: Campino las aus seinem wirklich großartigen Werk „Hope Street – wie ich einmal englischer Meister wurde“.…

Erfahrener Musiker, aber Buch-Debütant: Campino las aus seinem wirklich großartigen Werk „Hope Street – wie ich einmal englischer Meister wurde“. Es geht um seine Leidenschaft für den Liverpool FC (man beachte die YNWA – You Never Walk Alone Kappe) und England (er ist ja Deutsch-Brite), vor allem aber um seine bewegende Familiengeschichte – die sich wie ein bundesrepublikanischer Entwicklungsroman liest. Sein Vater, ein Stalingrad-Überlebender des 2. Weltkrieges, heiratete schon 1948 seine britische Mutter, wofür diese kurzzeitig sogar die britische Staatsbürgerschaft entzogen bekam, Hitler-Deutschland war gerade erst drei Jahre zuvor besiegt worden. Beim Writers´ Thursday in Flakes Garage las Campino vor allem einen Abschnitt vor, in dem er seinen stürmischen Alltag im Elternhaus in Mettmann (nahe Düsseldorf) mit fünf Geschwistern schilderte. Campino beschreibt in späteren Kapiteln, wie er nach dem Tod des Vaters erstmals dessen Briefe aus dem Krieg las und den Eindruck hatte, diesen Menschen jetzt erst besser zu verstehen. Und dass er ihn oft ungerecht behandelt hat und ihm gerne noch sehr viele Fragen gestellt hätte. Das Buch wirft Fragen auf, die jeden Leser berühren: Wie gut kenne ich meine Eltern wirklich? Bin oder war ich neugierig genug? Habe ich die richtigen Fragen gestellt?

Hund Wolf Schakal

von Behzad Karim Khani, Hanser Berlin

Ein packendes, spannendes, erfrischend hartes Debüt hat Behzad Karim Khani mit „Hund Wolf Schakal“ hingelegt. Es geht um den (anfangs)…

Ein packendes, spannendes, erfrischend hartes Debüt hat Behzad Karim Khani mit „Hund Wolf Schakal“ hingelegt. Es geht um den (anfangs) elfjährigen Saam und seinen kleinen Bruder Nima, die mit ihrem Vater Jamshid nach der Hinrichtung der Mutter durch das islamistische Regime wenige Jahre nach der Revolution aus dem Iran nach Deutschland auswandern. Der Vater kämpfte einst als Kommunist und Guerilla gegen das Schah-Regime und verlor bei einem Attentat ein Bein, in Deutschland versucht er als Taxifahrer mit seinen beiden Söhnen in Neukölln eine neue Existenz aufzubauen – als einzige Perser im arabisch dominierten Kiez, wie es an einer Stelle heißt. Es sind die chaotischen Post-Wende-90er-Jahre im koksverseuchten wiedervereinigten Berlin. In ihrem Viertel herrscht ein rauer Ton und oft genug auch Gewalt. Während der Vater damit beschäftig ist, sein Leben neu zu sortieren und die manchmal doch recht seltsamen Deutschen – etwa ihre skurrile Schrebergarten-„Kultur“ – zu verstehen, muss sich Saam draußen behaupten, er will kein Opfer sein, sondern sein Leben selbst bestimmen können. Er sucht die Nähe der arabischen Brüdern Heydan und Marwan und beginnt – im Gegensatz zu seinem Bruder Nima – eine kriminelle Karriere, die ihn später hinter Gitter und in noch größere Schwierigkeiten bringt. Es ist für ihn ein archaischer Überlebenskampf in einer harten Männergesellschaft fern der bürgerlichen Mehrheitsgesellschaft. Saam lernt, sich anzupassen, um nicht unterzugehen. Aber das führt nicht automatisch zu einem Happy End. Es ist eine Welt der der Kämpfenden und Sehnsüchtigen, der Verlorenen und Verlierer, der verzweifelt Liebenden und der Hoffenden. Und die beschreibt Behzad Karim Khani mit einer faszinierenden Mischung aus Straßenslang und erhabener Kunstsprache. Das Ergebnis ist ein drastischer, energiegeladener, poetischer Blick auf eine komplexe Brüderbeziehung und in eine sehr nahe und doch sehr ferne Welt.

In deinem rechten Auge wohnt der Teufel

von Olga Hohmann, Korbinian

Die Künstlerin und Autorin Olga Hohmann las in Berlin aus ihrem bemerkenswerten Roman „In Deinem rechten Auge wohnt der Teufel“,…

Die Künstlerin und Autorin Olga Hohmann las in Berlin aus ihrem bemerkenswerten Roman „In Deinem rechten Auge wohnt der Teufel“, der in Kürze bei unseren Freunden vom Korbinian Verlag erscheinen wird. Es geht in diesem durchaus experimentell zu nennenden Text – unter anderem – um die mystische Welt der Oper, um ein junges Mädchen, das oft grundlos, wie es scheint, wütend wird und langsam lernt, seine explodierende, alle irritierende Wut zu unterdrücken. Sie ist fasziniert von der kochenden Wut der Königin der Nacht in Mozarts Zauberflöte, die da singt: »Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen«. Es geht auch um Florence Foster Jenkins, die als schlechteste Königin der Nacht der Welt der Musikgeschichte gilt und die Anfang des 20. Jahrhunderts in New York Opernarien begeistert, aber niederschmetternd falsch singend zum Besten gab. Und es geht um kollektive Erinnerungen an Ereignisse wie 9/11, den Zusammenbruch des Berliner Aqua Doms, Rave-Nächte der 90er und viele flaneurhafte Eindrücke aus Stadt. Der Text ist aufgebaut wie eine Oper, es gibt mehrere Aufzüge, Sing-Songteile wechseln sich ab mit Textpassagen, Taylor Swift wird genauso lässig zitiert wie Georg Friedrich Händel, kurzum: Wer hier eine lineare Erzählung erwartet, wird radikal und angenehmst enttäuscht werden. Der Text ist die Performance. Chapeau!

Irre Wolken

von Markus Berges , Rowohlt Berlin

Der 19jährige "Kuli" arbeitet 1 Jahr freiwillig in der Psychiatrie und verliebt sich dort in die Patientin Anne Schmidt, auf die er eigentlich aufpassen sollte.

Der für seine Songlyrik hochgelobte Sänger und Songwriter der Band „Erdmöbel“, Markus Berges, hat mit „Irre Wolken“ seinen dritten bemerkenswerten Roman vorgelegt. Es geht um den „Kuli“ genannten 19jährigen, der Mitte der 80er ein Jahr in der Psychiatrie absolviert, in einer Anstalt, die „draußen“ nur „die Hülle“ heißt. Dort begegnet er der Patientin Anne Schmidt, die von ihrer Familie wegen ihrer psychotischen Schübe eingeliefert wird. Sie wittert überall den “totalen Atomstaat“ und die „Atom-Mafia“ (wobei das im Tschernobyl-Jahr 1986 in der Protestbewegung eher eine Mainstream-Meinung war). „Kuli“ ist fasziniert von klugen, aufregenden Anne, die aber auch andere Seiten hat und schon bald in der Anstalt ein Zimmer zerlegt und droht, jemand mit einem Wasserhahn den Schädel einzuschlagen. Bei einem Spaziergang läuft sie weg – und er lässt sie laufen. Es entwickelt sich eine heimliche, verbotene Affäre, für ihn eine große Liebe, in einem geheimen Liebeslager an der Ems im Münsterland, wo sie zelten, baden, sich lieben. In Ihrem Versteck sind sie sich einerseits ganz nah, andererseits auch ganz fremd, denn, wie er immer wieder bemerkt, sie bleibt ja immer auch Patientin. Manchmal scheint sich das Verhältnis für ihn umzukehren: Er, der leicht übergewichtige Junge, fühlt sich durch diese Frau wie befreit von der Enge der Familie, des Ortes, der Umstände. Plötzlich aber ist sie weg aus dem Versteck und taucht später erneut als Patientin in der „Hülle“ auf. Die großen Gefühle lassen für ihn alles, selbst den GAU in der fernen Ukraine und die „Irre Wolken“ (die Radioaktivität bin nach Deutschland tragen), in den Hintergrund treten. Aber nichts ist wie vorher. Markus Berges ist ein wunderbar zartes, einfühlsames, lebenskluges und lustiges Buch über eine erste große Liebe unter ganz besonderen Umständen gelungen. Wunderbar.

Kachelbads Erbe

von Hendrik Otremba, Hoffmann und Campe

Nach seinem beeindruckendenen Debüt („Über uns der Schaum“) hat der Schriftsteller, Künstler und Musiker („Messer“) Hendrik Otremba mit seinem neuen…

Nach seinem beeindruckendenen Debüt („Über uns der Schaum“) hat der Schriftsteller, Künstler und Musiker („Messer“) Hendrik Otremba mit seinem neuen Roman „Kachelbads Erbe“ die hohen Erwartungen mehr als erfüllt: Mit großer Stilsicherheit entwirft er in einer ganz eigenen Sprache die Geschichte um einen deutschen Forscher in den USA, der frisch Gestorbene tiefkühlen lässt, damit sie dereinst wieder aufgeweckt werden können. Das Unscharfe, Nebulöse, Geheimnisvolle dieses Romans entwickelt, beschleunigt durch die laufend wechselnden Erzählperspektiven, einen ganz eigenen Sog, wie alle Zuhörer beim Writers‘ Thursday feststellen konnten.

Kampfsterne

von Alexa Hennig von Lange, Dumont

Was für ein Roman, was für eine Autorin: In „Kampfsterne“ führt uns Alexa Hennig von Lange in eine scheinbar idyllische…

Was für ein Roman, was für eine Autorin: In „Kampfsterne“ führt uns Alexa Hennig von Lange in eine scheinbar idyllische Bungalowsiedlung, in der es auf den ersten Blick allen recht gut zu gehen scheint. Aber eigentlich sind alle zerfressen von Neid, unterdrückten Begierden, Ignoranz und leiden unter ihrer Kommunikationsunfähigkeit. Das klingt deprimierend, aber das wird so leicht und auch lustig erzählt, dass man nur staunen kann. Wie die Geschehnisse aus verschiedenen Perspektiven erzählt werden, ist mitreißend und genial gemacht. Insbesondere die Perspektive der Jugendlichen gelingt Alexa so überzeugend und liebevoll, dass man mit Johannes und Cotsch sofort mal einen Nachmittag verbringen wollen würde.

Keine gute Geschichte

von Lisa Roy, Rowohlt

Was für ein hammerhartes Debüt: Die in Leipzig geborene und heute in Köln lebende Lisa Roy führt uns mit ihrem…

Was für ein hammerhartes Debüt: Die in Leipzig geborene und heute in Köln lebende Lisa Roy führt uns mit ihrem Roman „Keine gute Geschichte“ in die tiefsten Tiefen und grauesten Ecken des Ruhrpotts – und der menschlichen Verwicklungen und Verstörungen. Vergesst Schimi-Romantik und Zechen-Nostalgie, here comes the reality. Die Mittdreißigerin Arielle Freytag wuchs einst im prekären Stadtteil Essen Katernberg auf. Seit 12 Jahren war sie nicht da, jetzt will sie der Oma zeitweise helfen. Mittlerweile ist sie Social Media Managerin in Düsseldorf, das von Katernberg aus wie ein unerreichbarer Planet wirkt. Ihr Vater ist unbekannt, von ihm hat sie schwarze lockige Haare und eine Hautfarbe, die manche auf eine türkische oder kroatische Herkunft schließen lassen – als sie vorübergehend als Escort arbeitete, hat sie gerne damit gespielt. Die Mutter verschwand früh, diese Wunde schmerzt immer noch – ging die geliebte Mutter freiwillig oder unter Zwang? Warum meldete sie sich nie mehr? Ist sie vielleicht tot? In Katernberg sind zwei jüngere Mädchen verschwunden, das wirft Arielle, die wegen Depressionen länger in „der Klapse“ war, wie sie selbst sagt, mit Wucht zurück auf die ungelösten Fragen zur verschwundenen Mutter. Hindert sie aber nicht daran, mit dem Vater der einen Verschwundenen gleich ein Verhältnis anzufangen. Und was für Geheimnisse verbirgt die verbitterte, verschrobene Oma, die sie einst alleine aufziehen musste und ihr das heute recht deutlich vorwirft? Die Wahrheit kommt nur sehr langsam heraus. Du kannst das Mädchen aus dem Ghetto kriegen, aber nicht das Ghetto aus dem Mädchen, sagt ihr eine alte Bekannte aus ihrem früheren Wohnblock, die sie noch unter dem Spitznamen „die Matratze“ kennt. Und Arielle spürt, wie wahr das ist: Aufstieg hin, Aufstieg her, aus dieser Klasse gibt es vielleicht kein Entkommen. Kurzum: Ein kompromissloser, schnörkelloser, fesselnder, großer Wurf!

Klarkommen

von Ilona Hartmann , Ullstein

Die Erzählerin und zwei Freunde ziehen von einem namenlosen Dorf in eine namenlose Großstadt, aber das Leben unterläuft permanent die eigenen Erwartungen. Das tolle Leben, das haben immer die anderen.

Wo eigentlich versteckt sich das wilde, ungestüme, aufregende Leben? Darum geht es in „Klarkommen“, dem zweiten Roman von Ilona Hartmann. Mounia, Leon und die Erzählerin leben in einem namenlosen Dorf und sehnen sich nach nichts mehr als der namenlosen Großstadt, in der sie all das zu finden hoffen, was sie gerade nicht haben: Aufregung, Abenteuer, Grenzüberschreitungen, you name it. Vor der Haustür ist dagegen eher öde und ereignisarm, was auch nicht besser wird, als ihre Altersgenossen wenigstens den Alkohol entdecken, mit dem diese sich wegbeamen können – und das offensichtlich irgendwie gut finden. Mounia und die Erzählerin vertragen aber leider keinen Alkohol, also bleiben ihnen nur die Energydrinks. Als es dann endlich in die Großstadt geht, stellen sie ernüchtert fest, dass ihr Leben auch hier alle Erwartungen unterläuft. Von wegen Verheißung: Sie sind immer zu spät am falschen Ort, die WG, in der man wohnt, ist auch eher schlaff und öde, energielos und latent depressiv. Das Leben bietet also immer weit weniger als erhofft, alles ist spektakulär unspektakulär. Selbst die schlimmen Ereignisse sind nicht mal eine Anekdote wert, es ist zum Verzweifeln. Keine geile Zeit, keine geilen Geschichten – die passieren wieder nur den anderen. Die an sich normal-öde Normalität beschreibt Ilona Hartmann so lakonisch, teilweise poetisch, aber immer schnörkellos in kurzen und längeren Passagen und Aphorismen, dass es eine wahre Freude ist. So viel mitreißende Realität war selten, das ist das Befreiungsbuch für alle, die die Nase voll haben von den immergleichen Junger-Mensch-aus-der-Provinz zieht nach – meistens – Berlin und findet sich dort gerne nackt und völlig bedröhnt im Berghain oder KitKat irgendwie selbst. Jajaja. Kurzum: Danke Ilona, eine musste es ja mal sagen. Und damit müssen jetzt alle „Klarkommen“.

Könnt ihr uns hören?

von Davide Bortot, Jan Wehn, Ullstein

Davide Bortots und Jan Wehns Buch „Könnt ihr uns hören?“ ist schon jetzt das ultimative Standardwerk zum Deutschen HipHop.

Davide Bortots und Jan Wehns Buch „Könnt ihr uns hören?“ ist schon jetzt das ultimative Standardwerk zum Deutschen HipHop.

L´amour numérique

von Oliver Polak, Suhrkamp

Das Multitalent Oliver Polak – mit Grimme- und Fernsehpreis ausgezeichneter Comedian, Talkmaster, Sänger (“Corona forever”) und ernsthafter Autor (“Gegen Judenhass”)…

Das Multitalent Oliver Polak – mit Grimme- und Fernsehpreis ausgezeichneter Comedian, Talkmaster, Sänger (“Corona forever”) und ernsthafter Autor (“Gegen Judenhass”) – las aus seinem noch nicht veröffentlichten, extrem lustigen und berührenden Episodenroman „L´amour numérique”. Der Spezialist für menschliche Schwächen, Brüche, Sehnsüchte und Abgründe erzählt hier in 20 Geschichten die Suche eines deutschen Comedian auf der Suche nach Liebe, Nähe, Sex, oder besser: nach der einen großen Liebe. Die oft auch nur eine Suche nach sich selbst ist – im Schatten der Vergangenheit mit einer Mutter, die ihm das Leben immer schon schwer gemacht hat. Es geht aber auch um die Stumpfheit, die seltenen Höhen und vielen absurden Tiefen des Onlinedatings, die der Erzähler erlebt und an denen er uns teilhaben lässt, ohne sich auch nur eine Sekunde zu schonen. Und die Leser natürlich auch nicht. Es sind absurde, zarte, berührende, immer auch groteske und lustige Momente, die uns mit ihm und seinem Hund Toto mitfühlen lassen. Und wer will, hat nach der Lektüre den perfekten Soundtrack für alle Lebens- und Liebesmomente, denn die passenden Songs sind ein wichtiger Teil jeder Story. Das macht gute Laune!

Land in Sicht

von Ilona Hartmann, Blumenbar

Ilona Hartmann las beim Writers´ Thursday Village in Flakes Garage aus ihrem bemerkenswerten Debütroman „Land in Sicht“, der, wie sie…

Ilona Hartmann las beim Writers´ Thursday Village in Flakes Garage aus ihrem bemerkenswerten Debütroman „Land in Sicht“, der, wie sie kurz erwähnte, zum Teil auf eigenen Erfahrungen basiert: Im Buch sucht die 24jährige Jana Bühler ihren Vater, der ihre Mutter bei ihrer Geburt verlassen hatte. Lange war ihr das mehr oder weniger egal, aber dann, nach einem Gespräch mit einem Freund, fällt ihr plötzlich auf, was für ein Loch in ihrer Identität, in ihrer Biografie klafft – und sie fängt an, ihn zu suchen. Durch Zufall findet sie ihn im Netz, er ist anscheinend Kapitän auf einem Kreuzfahrtschiff auf der Donau. Sie bucht anonym eine Reise auf der MS Mozart von Passau nach Wien, um „Milan“, ihren Vater, kennenzulernen. Sie ist die jüngste Frau auf einem Schiff voll Rentnern, was immer wieder zu absurder Situationskomik in diesem auch sehr lustigen Buch führt. Eine zeitlang hat sie den Eindruck, Milan macht sie sogar ein bisschen an, er weiß schließlich nicht, dass sie seine Tochter ist. Als sie sich ihm offenbart, bleibt der große emotionale Knall aus – und das ist eine der großen Stärken des Buchs von Ilona Hartmann: Ganz ohne Pathos, ohne emotionale Überwältigung, geradezu nüchtern und dadurch umso eindringlicher beschreibt sie, wie das ist, wenn man sich eine große Sehnsucht erfüllt, von der man sich vielleicht Erlösung erhofft hat, die aber dann so erst einmal gar nicht eintritt.

Liebe und andere Neurosen

von Katja Eichinger, Blumenbar

Katja Eichinger ist unsere Spezialistin für Neurosen. Zuletzt las sie beim Writers´ Thursday aus Ihrem Buch „Mode und andere Neurosen“,…

Katja Eichinger ist unsere Spezialistin für Neurosen. Zuletzt las sie beim Writers´ Thursday aus Ihrem Buch „Mode und andere Neurosen“, jetzt besuchte sie uns mit ihrem neuen Werk „Liebe und andere Neurosen“. In 10 unterhaltsamen, anekdotischen, aber auch analytischen Essays lotet sie unser Begehren und Verlangen aus: Wen und was begehren wir und warum, wie erfüllen wir unser Begehren, wo wird es uns verwehrt – so wie ihrer Urgroßmutter, die den Handwerker ihrer Träume nicht heiraten durfte und ein Leben lang darüber nachdachte, was wäre gewesen wenn… Es ist diese Mischung aus Familiengeschichten und Elementen der Popkultur (Warum hat Freud die weibliche Lust nicht richtig verstanden, die Serie Sex and the City aber schon?), die neue Perspektiven erkennen lässt und laufend Aha-Effekte auslöst. Es geht um Zweisamkeit, Familie, die Ehe und den Tod und die Tücken der Selbstliebe. Das ist schlau und lustig – so schön können Neurosen sein.

Liebewesen

von Caroline Schmitt, eichborn

Ein ergreifendes und hartes Debüt über eine sehr gegenwärtige Beziehung hat Caroline Schmitt mit „Liebewesen“ vorgelegt. Hauptfigur Lio ist 27…

Ein ergreifendes und hartes Debüt über eine sehr gegenwärtige Beziehung hat Caroline Schmitt mit „Liebewesen“ vorgelegt. Hauptfigur Lio ist 27 Jahre alt und Biologin, sie ist Single und hat in ihrem Leben, wie sie einmal sagt, noch nie richtigen Sex gehabt, wobei erst spät klar wird, was sich für eine erschütternde Wahrheit hinter „nicht richtig“ verbirgt. Ihre lebenslustige und sinnenfreudige Freundin Mariam verschafft Lio ein Tinder-Date mit Max, dem recht bekannten, scheinbar sehr selbstbewussten und coolen Radiomoderator, mit dem sie dann tatsächlich auch zusammenkommt und -zieht. Nicht nur ihre körperliche Beziehung ist von Anfang an schwierig, auch wenn beide es gerne anders hätten. Lio ist ihr Körper fremd, langsam wird deutlich, was für Spuren auch ihre Mutter bei ihr hinterlassen hat, die sie einst oft schlug während der Vater zu selten präsent und dann zu oft leicht alkoholisiert war. Und der lebensfroh wirkende Max aus der Bilderbuchfamilie leidet immer wieder an Depressionsschüben, die ihn lähmen. Es ist ein dauernder Kampf der beiden um Nähe und Abgrenzung, Körperlichkeit und Selbstschutz, um Wahrhaftigkeit und Selbstbehauptung. Diese harte und zarte Beziehungsstory, die so ungeschönt realistisch und gegenwärtig wirkt, hat Caroline Schmitt glänzend erzählt, und zwar so, dass sie einen richtig mitnimmt. Beeindruckend.

Lieder an das große Nichts

von Juliane Liebert, Suhrkamp

Juliane Liebert liest aus ihrem großartigen Gedichtband „lieder an das große nichts“ beim Writers‘ Thursday im Innenhof des Amtsalon. Wir…

Juliane Liebert liest aus ihrem großartigen Gedichtband „lieder an das große nichts“ beim Writers‘ Thursday im Innenhof des Amtsalon. Wir haben nicht oft Gedichte beim WT, aber bei diesem Band hier konnten wir ja gar nicht anders. Diese Gedichte von Juliane Liebert haben kein festes Versmass, es gibt keine Reime, aber einen unvergleichlichen Sound, eine beeindruckende Musikalität und über allem schwebt die Allgegenwart des Todes, des großen Nichts, das uns in den Gedichten in den verschiedensten Formen begegnet. Diese Poesie lässt niemand kalt.

M

von Anna Gien, Marlene Stark, Matthes & Seitz

Autorin Anna Gien hat zusammen mit ihrer Co-Autorin Markene Stark mit ihrem Roman „M“ eine wilden Ritt durch die Berliner…

Autorin Anna Gien hat zusammen mit ihrer Co-Autorin Markene Stark mit ihrem Roman „M“ eine wilden Ritt durch die Berliner Nacht-und Kunstszene geschrieben.